Kein Raum für Täter! Verfahren wegen sexualisierten Übergriffen gegen Studierende durch Universitätsprofessor geht in Berufung

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Statement, verfasst von Studierenden der Universität Erfurt

Erfurt, 20. März 2023

Diese Woche findet am Thüringer Oberverwaltungsgericht in Weimar ein Berufungsverfahren gegen einen Professor der Universität Erfurt statt. Das Verwaltungsgericht Meiningen hatte mit einem Urteil im Dezember 2020 die Rückkehr des aktuell suspendierten Professors in dessen Lehrposition und den Erhalt seines Beamtenstatus nach sexualisierten Übergriffen gegen Studierende beschlossen.

Wir als Studierende der Universität Erfurt begrüßen, dass das Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und digitale Gesellschaft als Arbeitgeber des Professors gegen dieses Urteil Berufung eingelegt hat. Hierauf beziehen wir wie folgt Stellung:

Das Verwaltungsgericht Meiningen lässt im bisherigen Disziplinarurteil bewusst den übergriffigen Charakter der Taten außer Acht – trotz Betroffenenaussagen, die bekräftigen, dass der sexuelle Kontakt unfreiwillig und aus einem Gefühl der Abhängigkeit gegenüber dem Professor eingegangen wurde. Dass im Urteil des Verwaltungsgerichts lediglich von einem „deutlich unangemessenen Verhalten“ die Rede ist, stellt eine Verharmlosung der sexualisierten Übergriffe dar, die kaum zu übertreffen ist – gerade in Anbetracht dessen, dass der besagte Professor für diese Übergriffe bereits strafrechtlich wegen Vorteilsnahme und versuchter schwerer Nötigung verurteilt wurde. Es ist zu hoffen, dass das Oberverwaltungsgericht zu einer anderen Beurteilung kommt und dabei die Betroffenen ernst nimmt, ebenso wie seine Verpflichtung gegenüber der Studierendenschaft der Universität Erfurt.

Mit einer Rückkehr des besagten Professors in den Lehrbetrieb würde eine potentielle Gefährdung von Studierenden billigend in Kauf genommen werden. Im Gegensatz zur Universität, deren Aufgabe es wäre, Studierende zu schützen, hat der Studierendenrat der Universität Erfurt sich bereits klar und deutlich positioniert: „Das Ansehen und vor allem das Vertrauen in diesen Professor sind auf Seiten der Studierenden nachhaltig zerstört!“ Ein solches Misstrauen steht einer funktionierenden Zusammenarbeit zwischen Studierenden und Lehrenden in Seminaren, Vorlesungen und Beratungsgesprächen massiv entgegen. Dies würde sich zu Lasten der Studierenden auswirken.

Professor:innen, insbesondere cis-männlichen Professoren, kommt im universitären Lehrbetrieb eine herausragende Autorität und Machtposition zu. Diese patriarchalen Machtstrukturen ermöglichen es Beamt:innen, ihre Position zum Schaden von Studierenden auszunutzen. Der Verbleib eines derart übergriffigen und sexistischen Mannes in seiner Stellung ist Ausdruck dieses nicht hinnehmbaren Zustands.

Ein erneut zugunsten des Professors ausfallendes Urteil und seine Wiedereinsetzung in den Universitätsbetrieb würde nicht nur uns betreffen, es hätte darüber hinaus Signalwirkung: Es würde Betroffenen von sexualisierten Übergriffen signalisieren, dass die Gewalt, die sie erfahren, nicht anerkannt wird oder egal ist. Es würde Studierenden und Universitätsangehörigen signalisieren, dass derartige Übergriffe und die Täter, die sie begehen, ihren Platz an der Universität haben und behalten dürfen. Es würde Professor:innen und cis Männern in Machtpositionen signalisieren, dass sie sich aus der Verantwortung ziehen können und dies billigend in Kauf genommen wird.

Unsere Kritik gegen die patriarchalen Zustände endet nicht beim übergriffigen Professor und nicht beim urteilenden Gericht. Es ist ein grundsätzliches Problem, dass Betroffenen von sexualisierter Belästigung und Gewalt sowohl gesellschaftlich als auch juristisch noch immer oft kein Glauben geschenkt und ihre Betroffenheit in Zweifel gezogen wird – oft unter Rückgriff auf victim blaming sowie misogyne und antifeministische Narrative. Diese strukturelle Gewalt verursacht zusätzliche Verletzungen, sie retraumatisiert, sie entmündigt – wie Aussagen von Geschädigten nach derartigen Prozessen immer wieder deutlich machen. Dies sollte dem zuständigen Gericht und auch der Uni zu denken geben. Die Gegenwart von Sexismus und sexualisierter Gewalt muss sowohl im juristischen als auch im akademischen Bereich endlich anerkannt und problematisiert werden. Hierfür müssen die Betroffenen und ihre Perspektiven ernst genommen werden. Das Berufungsverfahren birgt die Chance, dies zu tun.

Doch unabhängig davon, wie das Oberverwaltungsgericht urteilen wird: Wir geben keine Ruhe! Für uns Studierende sollte die Universität ein Raum sein, in dem wir uns weiterbilden und entfalten können – und das unabhängig von unserem (zugeschriebenen) Geschlecht. Wir nehmen es nicht hin, wenn uns dieser Raum von cis Männern, die ihre Macht ausüben, genommen wird und stellen uns entschlossen dagegen.

Kein Raum für Täter – Gegen sexualisierte Gewalt und patriarchale Machtstrukturen am Campus und überall!

Erstunterzeichner*innen:
campus mackerfrei
Feministisches Forum Erfurt
Fachschaftsrat Philosophie
Studierendenrat der Universität Erfurt
Fachschaftsrat Geschichte
Hochschulgruppe Fridays for Future Erfurt
Kritisches Lehramt
QueErfurt
Arbeitsgruppe Nachhaltigkeit Erfurt
DGB-Jugend Hochschulgruppe Erfurt