Unser Redebeitrag zum feministischen Kampftag am 8. März 2022 in Erfurt
TRIGGERWARNUNG: Im folgenden Redebeitrag sprechen wir über sexualisierte Übergriffe und Machtgefälle innerhalb von Universitätsstrukturen – dabei wird auch über (sexualisierte) Gewalt an FLINTA* gesprochen. Die Abkürzung FLINTA* steht für Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen – also für all jene, die aufgrund ihrer Geschlechtsidentität patriarchal diskriminiert werden.
Die Geschichte mit dem Klozettel
Am 25. November letzten Jahres, dem Tag gegen Gewalt an FLINTA*, wurden im Frauenklo der Unibibliothek Erfurt Zettel aufgehängt. Auf diesen Zetteln wurde auf Gewalt gegen FLINTA* am Campus der Uni Erfurt aufmerksam gemacht. Ein Beispiel: Studentische Tutoren nutzen in den Einführungswochen seit Jahren ihre Machtposition für sexualisierte Übergriffe aus. Sie führten Strichlisten, wie viele Erstsemester-Studentinnen sie “rumgekriegt“ haben. Diese Listen stellten sie teils auf T-Shirts dar.
Auf den Zetteln im Klo, die dies thematisierten, wurde eine Diskussion losgetreten, Personen kommentierten das Geschriebene. Darauf wollen wir kurz eingehen:
Dort heißt es: „Sie hätte doch einfach NEIN sagen können.“ – Manche FLINTA* schaffen es, sich mit einem NEIN und selbstbewusstem Auftreten aus bedrohlichen Situationen zu befreien. Das ist aber nicht immer so. NEIN sagen ist nicht immer möglich für FLINTA*. Angst kann lähmen – Häufig ist auch Alkohol im Spiel – manche FLINTA* haben bei einem NEIN Angst vor (noch mehr) Gewalt oder unangenehmen Situationen – manche FLINTA* verlieren wegen einem NEIN zu dem Essen mit ihrem Chef ihren Job.
Es heißt auf dem Zettel auch: „Nur weil das Benehmen der Tutoren geschmacklos ist, heißt es nicht, dass die Frauen zu irgendetwas genötigt oder gezwungen wurden.“
Wir müssen über Konsens sprechen: Konsens ist NICHT, wenn eine Person im Hinterkopf eine Strichliste hat. Konsens ist NICHT, wenn die berufliche Existenz von Gefälligkeiten für den Vorgesetzten abhängt. Konsens ist auch NICHT, wenn dabei dein Abschluss auf dem Spiel steht. Nur weil man nicht zu etwas gezwungen wurde, kann es trotzdem nicht einvernehmlich gewesen sein. Weil Machtgefälle bestehen.
Auf dem Zettel wurde auch kommentiert: „Hört auf, Frauen immer als Opfer darzustellen. Hier ist kein Beispiel von Übergriffen. Es gibt hier kein Problem.“
Doch es gibt ein Problem! Das Thema ist allgegenwärtig und begegnet uns gerade im Alltag immer wieder. Dinge erscheinen normal, die es nicht sein dürften!!
Eklige Blicke in der Bahn. Hinterherpfeifen, sogenanntes Catcalling. Ungefragte Berührungen und Kommentare. Angst auf dem Weg nach Hause bis hin zu KO-Tropfen.
Aber hierbei hört es noch nicht auf:
Jede dritte Frau in Deutschland wird in ihrem Leben Opfer physischer oder sexualisierter Gewalt.
Bei jeder vierten Frau ist der Täter der aktuelle Partner oder ein früherer Partner.
Jeden 3. Tag ermordet ein Mann in Deutschland seine Partnerin oder Expartnerin. Das zeigen die Zahlen des BKA und des statistischen Bundesamtes.
Die Dunkelziffer liegt weitaus höher. Hinzu kommen psychische Gewalt, Stalking oder Bedrohung. Die Benennung und statistische Erhebung solcher Verbrechen sind, aufgrund ihrer Vielförmigkeit, problematisch.
Wir wiederholen diese Zahlen immer wieder. Wieso reichen diese Daten und Fakten nicht aus, damit deutlich wird, dass ein Problem in unserer Gesellschaft besteht?
Wieso haben Menschen das Gefühl, sie müssten Tutoren verteidigen, die Strichlisten über ihre Eroberungen führen? Tausende FLINTA* schreien es ständig raus und immer noch gibt es FLINTA*, die ihre Freunde, Väter und Brüder verteidigen und Betroffenen zuerst mit Unglauben begegnen. Wie kann es sein, dass es gesellschaftlich akzeptiert ist und sogar belohnt wird, wenn Männer mit vielen Frauen schlafen, aber Frauen, die sich genauso verhalten, als Schlampen betitelt werden?
Das Problem liegt nicht im einvernehmlichen Handeln zweier Menschen, sondern in der Objektifizierung von Frauen und den zugrundeliegenden, längst veralteten, Machtgefällen.
Um festzustellen, dass diese immer noch auf gewaltvollste Art und Weise wirken, reicht wieder ein Blick auf die Universität Erfurt.
Im Jahr 2015 nutzte der Philosophieprofessor Carsten Held seine Machtposition aus: Er drängte zwei Studentinnen zu sexualisierten Handlungen. Diese wandten sich im November desselben Jahres an ihre Professor:innen. Die Ermittlungen dauern ein Jahr an, erst zwei Jahre nach den Taten wird er vom Dienst suspendiert. In der Zwischenzeit werden noch viele weitere Fälle seiner Übergriffigkeit bekannt, denen nicht nachgegangen wird. Held erhält weiterhin einen Großteil seines Gehalts. Ob er seinen Beamtentitel behalten und wieder an die Uni zurückkehren darf, ist unklar. Die Uni selbst äußerte sich nie öffentlich dazu.
Wie kann das sein?
Wie kann das sein, dass Männer keine Konsequenzen fürchten müssen?
Es kotzt uns an, dass FLINTA* sich immer erst beweisen müssen, um als gleichwertig zu gelten. Es kotzt uns an, dass wir jedes Mal, wenn sexistische Äußerungen normalisiert werden und unwidersprochen bleiben, den nächsten Übergriff auf FLINTA* legitimieren. Dass sie ihre traumatischen Erfahrungen immer und immer wieder erzählen müssen und die Aufmerksamkeit am Ende doch dem Täter gilt. Warum werden sich Sorgen gemacht darüber, ob dem Mann geschadet wird, anstatt auf Seite der Betroffenen zu stehen? Wieso gilt die Unschuldsvermutung nur für Täter? Wer denkt, man könne sich hierbei auf Polizei und Justiz verlassen, liegt falsch. Der Umgang dieser Stellen mit Betroffenen trägt höchstens dazu bei, dass FLINTA* retraumatisiert werden und sich nicht ernst genommen fühlen.
All diese Probleme existieren auch in der linken Szene, die sich feministisch labelt! Selbst hier ist es immer noch kein Konsens, dass ein Raum besteht, in dem FLINTA* unwidersprochen von Erfahrungen berichten und offen darüber sprechen können.
Wie können wir es schaffen uns endlich solidarisch gegen diese Gewalt zu wehren?
Wir brauchen eine Gesellschaft, die ihre toxische, defizitäre Männlichkeit anerkennt und anfängt sie zu hinterfragen. Wir brauchen eine Gesellschaft, die einsieht, dass Gewalt an FLINTA* nicht grundsätzlich ein Problem von FLINTA*, sondern von Männern ist. Wir brauchen eine Gesellschaft und vor allem Männer, die andere Männer auf ihr falsches, toxisches und frauenfeindliches Verhalten hinweisen, weil dies nicht die Aufgabe von FLINTA* ist.
Wir brauchen eine Gesellschaft, die nicht über FLINTA*, sondern mit FLINTA* spricht. Und eine Gesellschaft die FLINTA* Raum zum sprechen gibt und sie sagen lässt was sie zu sagen haben. Wir brauchen eine Gesellschaft, die gewaltvolle, patriarchale Machtstrukturen anerkennt und sich gegen sie stark macht. Und wir brauchen FLINTA*, die sich zusammentun und nie aufhören miteinander gegen diese Machtstrukturen zu kämpfen.